24.4.20

(Die Fotos sind alle von Elsa und Samuel. Die sind jetzt auch auf INSTAGRAM. Ich hab die Elsa nach ihren Fototipps gefragt: "Ich überleg mir, was alles drauf sein soll, dann geh ich so lange rückwärts bis alles draufpasst. Und dann drück ich ab. Ich bemühe mich die Kamera grade zu halten, aber das gelingt nicht immer." Ihr Freund, der berühmte Fotograf, hätt ihr noch empfohlen darauf zu achten, dass das Fotoequipment nicht im Bild ist.)





25.02.2020.

Ich hab Vorurteile. Ich hab Vorurteile gegen junge Väter. Ich geh jetzt aber trotzdem nicht in ihre Manufakturen und Röstereien und auf den Markt am Samstag und erschieß sie da am Käsestand. Jeder junge Vater eine verlorene Chance, jeder Ehering Hohn. Wahrscheinlich sind die eigentlich ganz nett, wenn ich mit ihnen reden würd. Ich will aber eher nicht mit ihnen reden, das tät es ja dann noch schlimmer machen. Die jungen Väter sind keine Minderheit, die jungen Väter sind nicht gefährdet. Keiner muss sich mit den jungen Vätern solidarisch zeigen. Keiner gründet Parteien die generell gegen junge Väter sind, das nennt man Pech in der Liebe. Sie regen mich echt masslos auf, antun werd ich ihnen nichts.

Ich hab die Welt nicht bereist, ich kenn keine fremden Kulturen. Ich war vor kurzem beim Japaner, ich mag keinen Fisch. Ich war auch noch nie auf dem Oktoberfest, so circa zwei Mal im Jahr ess ich zwei Knedl mit Soß. Hab ich ein Dirndl an, schau ich aus wie eine Magd mit Schwindsucht. Ich kann nicht von mir behaupten, dass mein bester Freund Shisha-Barbesitzer ist und auch so ausschaut. Ich kenn keinen der in die Shisha-Bar geht. Geh ich an der Shisha-Bar vorbei, denk ich "Kopfweh!", wegen dem grünen Apfel und Kirsch. Ich denk auch "Kopfweh!," wenn der Kaminkehrer kommt und es wie er wieder weg ist sehr lang nach seinem Aftershave riecht. "Kopfweh!", bei diesen Riesenhyazinthen überall, die kommen mir erst gar nicht ins Haus.

Mein Garten ist ein ziemlicher Verhau, eine Wildnis. Ich hab aber den Topinambur ausgerottet, die Quecke wird erstickt, die Nelkenwurz stech ich aus. Viel zu invasiv. Ich bin kein guter Mensch. Ich mach die Augen zu, ich will es nicht wissen, ich will es nicht glauben. Die ganzen Kinder, die ganzen Frauen, die ganzen Männer, die ganzen Koalas, die ganzen Bäume. Es darf nicht sein. Die Bienen, der Virus. Die Plastikverpackung. Schon wieder hab ich die Champignons nicht hergenommen und dann weggeschmissen.

Eins kann ich sagen, ein Auto hab ich nicht. Ein Desinfektionsmittel auch nicht, obwohl ich mein Bestes gegeben hab.




02.03.2020

Ich hab auf Ebay Kleinanzeigen ein Radl gefunden, endlich. Bei meinem alten ist mir bei der letzten Fahrt vier mal die Kette rausgesprungen, ich hätt fast geweint. Die Mama hat auf den Normaparkplatz gewartet und fast ein paar Packungen Klopapier gekauft, aber dann doch nicht. Das Radl war in einer Tiefgarage und ich hab gleich gewusst ich nehms. Es heißt "Napoli EXPRESS", türkisgrün. Ich hab gemeint der Sommer wird italiano. Erst hat mir der Hintern vom zu harten Sattel weh getan und dann noch so Muskelkater vom Rücktrittsbremsen, aber jetzt gehts.

Ich war auf einer Lesung, da war fast keiner. Vor mir haben sich zwei sehr dünne Mädchen über Botox unterhalten. Die eine hat fast keine Fältchen mehr an den Augen, die andere ist ganz begeistert. Ich auch. Ich will auch Botox. Immer wenn ich aus Versehen auf die Instagram-Kamera wische, schau ich so kritisch. Wenn ich mir diese kritische Falte wegspritzen lass, bin ich vielleicht auch nicht mehr so.




12.03.2020

Ich war auf zwei Konzerten an einem Abend, alle haben extrem gehustet. Auf dem einem waren lauter Familien mit selbstgestrickten Kindern, auf dem anderen standen vor mir lauter sehr dünne Rockermädchen. Ich hab mich auch als eins verkleidet, ich bin nämlich keins. Um Mitternacht bin ich heim, minimalst einen sitzen, wegen zwei Schluck Bier, weil am nächsten Tag hab ich früh aufstehen müssen, wir haben was auf einem Vintage Markt verkauft. Es ging so, geschäftemäßig, aber sonst war spitze. Wir waren danach so hungrig, gut dass die im fancy französischen Lokal keinen Platz für uns gehabt haben. Das mit der dezenteren Beleuchtung war viel besser, wir haben so schnell reingeschaufelt, es wär viel zu unfein gewesen.

Ins Theater geh ich ja nie, aber ich wollt mal in so einer kleinen Loge sitzen, also kauf ich mir eine ganz billige Karte für eine Lesung. Es ist dann der letzte Abend an dem die Theater noch offen haben und ich weiß nicht ob ich hingehen soll oder nicht. Ich frag alle, jeder sagt was anders. Ich geh doch hin, weil ich mein, dass bestimmt sonst keiner geht und meine Loge ja klein und deswegen safe ist. Es ist dann so, dass eigentlich alle gehen und nur der Autor Angst hat, vor Corona. Außerdem haben alle Endzeiteuphorie und klatschen am Schluss ganz fest. So gut fand ichs jetzt aber nicht. Es ist sehr staubig in meiner Loge gewesen, ich hätt am liebsten geputzt. Und alles was ich von meiner Loge aus gesehen hab, war noch viel dreckiger. Und wie man so dermaßen ungekonnt goldene Striche auf die Säulen malen kann, hab ich mich auch gefragt. Danach geh ich noch mit einer mit zu ihrem Stammtisch, als erstes waschen wir uns da die Hände. Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich Kirschschorle aus diesem Glas trinken soll.

Wir holen uns noch mal eine Pizza. Funghi mit Knoblauchöl zum Mitnehmen. Wenn sie eine Zeit lang in der Schachtel ist, schmeckt sie viel besser als wenn wir sie direkt in der Pizzeria essen täten. Wir glauben, es liegt am Dampf. Es ist definitiv die beste Pizza überhaupt, jedes mal wieder, sie enttäuscht nie. Wir müssen gar nicht mehr weitersuchen. Jetzt kann man da keine Pizza mehr mitnehmen. Ich will dringend zum Essen gehen. Gut, dass sich das mit dem zwanghaft Spazierengehen inzwischen gegeben hat.

Dann schauen wir uns noch Emma in OmU im Kino an. Die Lüftung ist extrem laut, alle sitzen unnötig viel zu nah zusammen und wir essen Popcorn mit der Hand. Mit der Hand? Mit der Hand.




19.03.2020

Es ist nur noch Virus. Alles andere ist vergessen.

Am zweiten Tag Daheimbleiben (nicht wahr, ich war wegen Tinnitus beim HNO, es lag an Ohrenschmalz) ruft mich der letzte Ex-Freund ohne Kind an und teilt mit, dass er jetzt auch eins kriegt. Auf Facebook steht was von Corona-Babies im Dezember, Coronials, haha. Ich hab überhaupt nicht gelacht.

Mich macht das ganz fertig, wie super die alle das Daheimbleiben finden. Endlich mal richtig ausmisten und Sauerteig. Ich mach schon immer Homeoffice, ich arbeite sogar nur halbtags. Ich bin so froh, dass ich für die Werkstatt außer Haus muss. Ich bin froh um alles wegen dem ich außer Haus muss. Netto zum Beispiel, da geh ich oft hin. Da kauf ich eine Mango und sechs Bananen, oder Frühlingszwiebeln, letztes mal gabs da "Kalettes", ganz kleinen Grünkohl. Ich nehm auch Katzenfutter und Walnüsse mit. Jeden Tag eine Besorgung. Damit aus halbtags ganztags wird, musst du dir einiges einfallen lassen. Und Daheimbleiben ist da ganz schlecht. Ich schreib mir fast alle von Facebook vorgeschlagenen Veranstaltungen in den Kalender, ich räum jeden Tag auf. Aber Aufräumen ist kein Lebensinhalt. Ich hab wegen Homeoffice noch nie ein deep cleaning gemacht, ich will jetzt auch keins machen. Ich habs probiert, drei Schubladen lang, und mich dagegen entschieden.

Halbtags alleine arbeiten und dann halbtags alleine sein ist nicht gut. Wie ich eine zeitlang recht krank war, da war ich so social distanced, ich war eigentlich immer allein. Ich hab nicht so richtig gehen können, aber manchmal bin ich auf den Friedhof und hab mir da die Hauswurzen angeschaut. Ich hab halbtags alleine daheim kein einziges Halbtags-Baby gemacht. Ich hab nichts aus halbtags alleine gemacht. Ich habe mich nicht halbtags optimiert. Ich wollt, wies mir besser ging, nur noch raus. Mich auf Konzerten anhusten lassen, vintage Stickjacken mit Rosen drauf kaufen und danach Maultaschengeschnetzeltes im Schummerlicht reinschaufeln. Von der staubigen Loge aus runter ins Parkett winken und Schorle aus fragwürdig sauberen Gläsern trinken. Und ich wollt nimmer heim.


Jetzt steh ich im Schlafzimmer und hab "die Zeit genutzt" für eine Geschichtsmaske. Ich schau in den Spiegel, es ist leer. Die Sonne scheint, ich hab eine Leggings mit Mickymäusen an.



Ich bin mir ziemlich sicher, ich hab bald kein Geld mehr. Ich hab schon so Formulare ausgefüllt. Andererseits, so richtig Geld hab ich eh nie.





21.03.2020

Bei mir bleibt der Staub genauso lang liegen wie sonst auch. Ich hab mich bis jetzt immer noch überhaupt nicht optimiert. Ich schäm mich so dafür, dass ich doch saug und zwei Fensterbretter abwisch.

Ich zieh die Schlafleggings aus und wieder die Mickymausleggings an. Ich leg mich sofort wieder ins Bett, ich hab so Kopfweh. Die Whatsappgruppen blinken die ganze Zeit. Ich will das alles nicht lesen. Ich will gar nichts. So schnell geht das, mit der Depression.

Ich schau der Elsa auf Skype beim Nähen zu. Skype gibt mir life. Sie macht Kunst, politisch. Sie pappt Wörter auf die Scheiben und hängt Fahnen aus dem Fenster. Sie hat den Stoff selber gefärbt, es ist alles sehr schön. Zu Weihnachten hat sie allen Wurmdünger in Flaschen geschenkt, fest verklebt, Eigenproduktion aus ihrer Wurmkiste. Das schütt ich jetzt in alle Blumentöpfe, dann kann ich es von meiner Liste abhaken.

Sie will dass ich ihr den Nachbarn beschreib, der ein riesiges MAN Führerhaus vor meinem Gartenzaun geparkt hat. Er hat oben graue Locken, unten dunkle. Die Jeans und das Hemd ohne Ärmel sind selbstverständlich eng und eine Kette hat er auch. Er putz das Führerhaus sehr gründlich und fragt mich ob es mich stört, dass er da vorm Zaun steht. "In der Nacht" wohnt er gegenüber. Er hat einen Akzent, ich glaub er ist Italiener. Ich sag zusammenfassend zur Elsa, dass er ein romantic ist, so würd ich das beschreiben.

Wir haben uns am Telefon angeschrieen. Am nächsten Tag reden wir gar nicht drüber, wir wissen eh wie das ausgehen würd. Das wär jetzt zu viel.

Ich esse einen Wrap mit einer harten unreifen Avocado drin. Es schmeckt furchtbar. Gut dass die Wraps jetzt aus sind. Ab sofort Gnocchi. Ich überleg, wie lang sich ein Virus auf einer Eierschachtel hält. Ich google es nicht. So richtig interessiert es mich doch nicht.




22.03.2020

Sammi zahlt der Elsa jetzt ein Gehalt damit sie ihren Roman schreibt, sie braucht den Druck.

Wenn ich mir das alles so durchles, stell ich fest: Redundanz ist mein Stilmittel.




24.03.2020

Ich geh mit der Mickymausleggings zum Husten auf den Friedhof.